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Leseprobe-Leipoldt-Nach-Norden

Zu Fuß durch den hohen Norden Der Erzähler macht sich, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, "auf die Große Fahrt". Nicht wie viele in den Süden von Europa, er nimmt die winter-lichen Strapazen des hohen Nordens auf sich, bricht von Wuppertal aus (meist zu Fuß!) nach dorthin auf. Ein feiner Bericht, spannend und einfach lesbar, der sich stimmungsvoll mit der allgemeinen Gefühlslage "des Neuen Europas" beschäftigt. Eben der Nachkriegsgeneration, die bis heute das Gesicht unseres Kontinent mit gestaltet hat und dabei schon sehr früh wusste, daß dies nur auf friedlichem Wege möglich sein kann.

Zu Fuß durch den hohen Norden
Der Erzähler macht sich, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, "auf die Große Fahrt". Nicht wie viele in den Süden von Europa, er nimmt die winter-lichen Strapazen des hohen Nordens auf sich, bricht von Wuppertal aus (meist zu Fuß!) nach dorthin auf. Ein feiner Bericht, spannend und einfach lesbar, der sich stimmungsvoll mit der allgemeinen Gefühlslage "des Neuen Europas" beschäftigt. Eben der Nachkriegsgeneration, die bis heute das Gesicht unseres Kontinent mit gestaltet hat und dabei schon sehr früh wusste, daß dies nur auf friedlichem Wege möglich sein kann.

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Dietmar <strong>Leipoldt</strong> – <strong>Nach</strong> <strong>Norden</strong>. 1957


Dietmar <strong>Leipoldt</strong><br />

<strong>Nach</strong> <strong>Norden</strong><br />

1957<br />

Begegnungen in Skandinavien<br />

Mit Zeichnungen<br />

»Aus den nordischen Skizzenbüchern«<br />

von Peter Caspary<br />

N o r d P a r k


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind<br />

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

Die Besonderen Hefte im<br />

N o r d P a r k V e r l a g<br />

Alfred Miersch<br />

Klingelholl 53 42281 Wuppertal<br />

Gesetzt in der Palatino<br />

Alle Bilder und<br />

Umschlagillustration:<br />

Peter Caspary<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

ISBN: 978-3-943940-34-3<br />

www.nordpark-verlag.de<br />

Die Besonderen Hefte werden eigenhändig in der Werkstatt<br />

des NordPark Verlages gesetzt, nach Bedarf in kleinen Auflagen<br />

gedruckt, dann handgefalzt und handgeheftet und in den<br />

Schutzumschlag aus dem Passat-Vorsatzpapier des<br />

Hamburger Papierherstellers Geese eingeschlagen.<br />

Dieses Heft wurde gedruckt:<br />

Oktober 2017<br />

Gedruckt auf dem Geese Werkdruckpapier Alster<br />

chlor- und säurefrei und alterungsbeständig<br />

entsprechend ANSI 3948 und ISO 9706.<br />

www.geese-papier.de<br />

FSC zertifiziert<br />

SGS – COC –004030<br />

www.fsc.org


Im Wanderer steckt einer<br />

der seine Entwicklung nicht beendet hat<br />

Joseph Beuys


Legende<br />

11 Vorwort-Vergangenheit<br />

14 Aufbruch<br />

17 Stockholm<br />

20 Norwegen<br />

27 Lappland irgendwo<br />

30 Lappland<br />

37 Finnland 1957<br />

40 Aufenthalt im Hause von Tore Larson<br />

52 Natur und Plagegeister<br />

56 Samen – Lappen<br />

63 Halbe Rentiere<br />

70 Elche<br />

71 Eisfüchse<br />

71 Katzenwäsche<br />

72 Begegnung<br />

74 Samen<br />

77 Kuopio<br />

91 Johannisfeuer<br />

93 Fischkauf<br />

94 Kalakukko<br />

96 Mückenstiche<br />

98 Straßenmaschinen<br />

99 Dies und Das<br />

103 Heute<br />

106 Vita


Heute<br />

Lasse die Vergangenheit wieder leben,<br />

sie kann dich zum <strong>Nach</strong>denken bringen.<br />

Eine Reise in die Vergangenheit, sie ist nicht mehr erreichbar,<br />

für alle Zeiten erloschen, doch die Erinnerungen sind<br />

geblieben, sind nicht erloschen.<br />

Warum wirken die Erinnerungen anregend und sind in<br />

unserem Geist wieder zum Leben erweckt?<br />

Zeiten mit ihren Eindrücken und ihrer Lebendigkeit sind<br />

es doch wert, uns mit Gedanken zu beschäftigen, aus denen<br />

wir lernen können, oder nur unsere Freude haben.<br />

Die geschriebenen Begebenheiten und Erlebnisse sind<br />

wahre Ereignisse, erlebte Momente 1957:<br />

1956. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich mich alleine<br />

trampend und zu Fuß in den <strong>Norden</strong> aufmachen, um mich<br />

zu finden, Entschlüsse zu festigen, aber auch Menschen<br />

und Länder kennen zu lernen, so ein damaliger Gedanke<br />

und Entschluss.<br />

1957 war es so weit. Der Winter war relativ milde, der<br />

Januar kam, für mich hieß der Monat nicht Februar, sondern<br />

Aufbruch gegen <strong>Norden</strong>, wie die Singschwäne, die nach<br />

<strong>Norden</strong> ziehen.<br />

11


Fortbewegung: Trampen, damals noch eine günstige<br />

Gelegenheit für junge Menschen von A nach B zu reisen,<br />

ohne großen Gefahren zu begegnen – Taschengeld? Gab<br />

es nicht!<br />

Wuppertal – Hamburg, keine Aufgabe. Von Hamburg<br />

nach Frederikshavn (Dänemark), an einem Tag geschafft,<br />

dank einem Franzosen, der gerne Auto fuhr. Von Frederikshavn<br />

über den Kattegat bis nach Göteborg (Schweden).<br />

Die Überfahrt: eine bewegte See. Eine <strong>Nach</strong>tfahrt hatte<br />

ich gebucht, sie war kostengünstiger als eine Tagesfahrt.<br />

Dicke Schneeflocken und Sturm. Opfer an Neptun: reichlich.<br />

So reichlich, ich hatte das Gefühl die Galle würde mitgeopfert.<br />

Ich wollte sterben. So elend schlecht war es mir.<br />

Und dann die erste Überraschung auf schwedischem<br />

Boden. <strong>Nach</strong> etwa zehn taumelnden Schritten war die Seekrankheit<br />

wie weggeblasen.<br />

Das Leben hatte mich wieder. Von Göteborg bis Stockholm:<br />

zwei Tage getrampt, ich war in Stockholm. Die erste<br />

Karte nach Hause wurde geschrieben. Erlebnisse in Stockholm,<br />

nein, da bleibe ich nicht.<br />

Der Vorsatz war dann gewachsen, ab Stockholm nur noch<br />

zu Fuß, jeden Tag 50 bis 60 Kilometer gehen, für mich kein<br />

Problem, ich hatte von meinem 12. Lebensjahr an meinen<br />

Körper immer stark gefordert, jetzt war ich gerade mal 18<br />

Jahre.<br />

Die Strecke hatte ich mir nicht zurecht gelegt, aber Kartenmaterial<br />

von Nordnorwegen und Finnland in Stockholm<br />

gekauft.<br />

12


Der Weg führte mich von Stockholm aus an dem Bottenviken<br />

(Botnischer Meerbusen) entlang bis nach Luleå. Weiter<br />

über Jokkmokk, Svappavaara, Kiruna am Torneträsk vorbei<br />

bis nach Narvik, von dort über die Königliche Hauptstraße<br />

Nr.: 6 über Tromsö, Alta, Hammerfest, Lakselv, Karasjok,<br />

Karigasniemi, Inari, Ivalo, Sodankylä, Rovaniemi, Kemi,<br />

Oulu, Kuopio, Mikkeli und wieder zurück nach Kuopio.<br />

Hätte ich vorher gewusst, welche Schneemengen, Tiere,<br />

Fährten, Kälte, eisige Winde ich sehen und erleben würde,<br />

hätte ich dennoch die Reise angetreten? Ein klares Ja ist<br />

darauf die Antwort.<br />

Und nun soll es losgehen mit den Geschichten, die hoffentlich<br />

zum Schmunzeln, <strong>Nach</strong>denken und Staunen anregen.<br />

13


Aufbruch<br />

Wenn man 1957 – so hieß es damals: Auf große Fahrt ging.<br />

Wer, warum, wohin ging damals die Große Fahrt?<br />

1957 herrschte Aufbaustimmung. Die zerstörten Städte<br />

durch den Bombenhagel, Tiefflieger, Flakbeschuss wurden<br />

wieder aufgebaut, damit auch die Bevölkerung, die in Baracken<br />

und Kellerlöcher noch lebten, wieder ein stabiles warmes<br />

zu Hause hatten.<br />

Die Menschen, die den Krieg überlebt hatten, suchten wieder<br />

Zerstreuung und Genuss ohne Reue und ohne Angst vor<br />

Bomben und Granaten. Theater, Opernhäuser, Konzertsäle<br />

öffneten ihre Tore, Filme wurden gedreht und gespielt, Tanzveranstaltungen<br />

fanden wieder statt. Die gehobene Gastronomie<br />

fand wieder Auferstehung. Was es nicht offiziell gab,<br />

wurde in den <strong>Nach</strong>kriegszeiten vor der Währungsreform<br />

1948 auf dem Schwarzmarkt besorgt und gehandelt.<br />

Die Ansprüche waren in der Regel bescheiden. Wohnungen<br />

hatten bescheidene Grundrisse, Wohn/Küchenraum als<br />

eine Einheit, Schlaftraum und Flur und einem WC-Raum.<br />

Wenn es sehr anspruchsvoll war, kam noch ein Zimmer für<br />

die Kinder hinzu. Gekocht wurde auf einem Kohlenherd,<br />

selten waren Gasherde. Aber, die Ansprüche stiegen, die<br />

alten Herde wurden gegen Dauerbrenner und Gasherde<br />

ausgetauscht. Damals sprach man von Wellen, wenn man<br />

die einzelnen Anschaffungen, die gleichzeitig von vielen<br />

Menschen getätigt wurden benennen wollte. Fresswelle,<br />

Ofenwelle, Kühlschrankwelle usw.<br />

14


Wir wohnten in einem Haus mit 8 Mietparteien. Einem<br />

selbstständigen Kegelbahnbaumeister mit Frau und Tochter,<br />

einem selbstständigen Fuhrunternehmer mit zwei Lastwagen<br />

und einem Angestellten, einem Gas- und Stromableser der<br />

Wuppertaler Stadtwerke mit Frau und Tochter, einem Rentner<br />

mit Frau und zwei Söhnen, einem Buchhalter mit Frau,<br />

einem Drucker mit Frau und Sohn, einem Straßenbahnfahrer<br />

mit Frau und Sohn, einem Betriebsleiter mit Frau. Eine bunte<br />

Gruppe Menschen, die sich alle sehr gut verstanden, sich gegenseitig<br />

halfen. Einen sogenannten Dün kel gab es nicht.<br />

Die Jugend sprach davon: Wir hatten Krieg, mussten<br />

nach den Befehlen der Diktatur mit ihren Schergen tanzen,<br />

jetzt konnte man tun und lassen was man machen wollte.<br />

Es durfte aber nicht strafbar sein. Freiheit hieß das Zauberwort,<br />

verbunden mit Selbstfindung und Selbstbestimmung.<br />

Vor Beginn der Weiterbildung oder der Berufswahl war dies<br />

angesagt. Einige jungen Leute aus meinem Freundeskreis<br />

gingen nach Afrika, Indien oder Frankreich, ich machte mich<br />

auf, ich wollte nach Skandinavien, nach Schweden gehen,<br />

vielleicht nach Norwegen und Finnland. Ich lernte Dänemark,<br />

Schweden, Norwegen, Finnland kennen.<br />

Wie sah die sog. Ausrüstung aus, was nahm man mit, was<br />

hatte man an?<br />

Aus Armeebeständen der Amerikaner waren Schlafsäcke<br />

und wasserdichte Ponchos unter der Hand zu besorgen,<br />

aus den deutschen Wehrmachtsbeständen waren die Affen<br />

– tragbare militärische Rucksäcke – zu bekommen. Rucksäcke<br />

wa ren Exoten, nicht zu bekommen. Ich hatte auch auf<br />

15


krummen Wegen mir diese Sachen besorgt. Heute werden<br />

solche Wege als Netzwerk getitelt. Der Schlafsack wurde<br />

zusammengerollt auf ein Maß von 18 cm Durchmesser und<br />

einer Rollenlänge von 30 cm, der Poncho hatte ein Maß von<br />

1,80 m im Quadrat. Man konnte sich den Poncho überhängen<br />

als Regenschutz, sich darin einwickeln, der Schlafsack war ja<br />

nicht wasserdicht. Einen wasserdichten Daunenschlafsack,<br />

so etwas gab es noch nicht. Von guter Qualität waren die<br />

Überfallhosen, die hatten auch die Skispringer in den Filmen<br />

von damals an. Socken, hohe Schuhe, Pullover, Unterhosen,<br />

Hemden, Taschentücher jeweils 2 Stück – Papiertaschentücher<br />

gab es auch noch nicht. Neben der Baskenmütze, Kartenmaterial,<br />

Gitarre mit den Jungenschafts-Liederbüchern.<br />

Die Jungenschaftsjacke – die JUJA – hatte man an. Eine kleine<br />

Kladde und Bleistift und Blaustift, um die Erlebnisse aufzuzeichnen<br />

und Streichhölzer, um Feuer anzuzünden.<br />

Handy: gab es nicht. Es gab die Post, die man nutzen konnte,<br />

um nach Haus zu schreiben, oder man konnte postlagernd<br />

Post von daheim bekommen. Anrufen per Telefon kannte<br />

man nicht, die Durchwahl war für die Bevölkerung noch<br />

nicht eingerichtet.<br />

Einen Brustbeutel hatte man, darin wurde das Reisegeld<br />

deponiert und nicht vergessen durfte man auch den Personalausweis<br />

und den Reisepass. Die Erlaubnis der Eltern, dass<br />

man reisen durfte, fand ebenfalls im Brustbeutel Platz.<br />

Die Reiseeinverständniserklärung war notwendig, weil<br />

man mit 18 Jahren nicht mündig war, erst mit 21 Jahren durfte<br />

man über sich selbst bestimmen. Den Reisepass musste<br />

16


man an jeder Grenze vorzeigen, er wurde mit Einreise und<br />

Ausreisestempel bei jedem Grenzübertritt gestempelt.<br />

In meinem Brustbeutel waren bei der Abreise 300 DM, die<br />

mühsam verdient, deponiert.<br />

Stockholm – Schwedens Hauptstadt<br />

Eine herrliche Stadt, unbeschädigt durch Kriege, mit alten<br />

wunderschönen Bauten im mehr südlichen Teil Schwedens<br />

gelegen, direkt am Bottnischen Meerbusen. Viele Inseln, verbunden<br />

mittels Straßen und Wege, überall Wasser, die Sommersonne<br />

erreicht jeden Winkel der Stadt, auch die Altstadt,<br />

die Gamla Stade, wie die Schweden sie nennen.<br />

Am vierten oder fünften Tag, nachdem ich von Wuppertal<br />

aus getrampt bin, habe ich Stockholm erreicht. Mein Weg<br />

führte mich von Wuppertal nach Hamburg, weiter durch<br />

Dänemark bis nach Frederikshavn, von dort mit einer großen<br />

Fähre über den Kattegat nach Göteborg. Von Göteborg<br />

nach Jönköping, von dort aus nach Stockholm. Eine sehr gute<br />

Jugendherberge, ein ausgedientes Segelschiff, ein festvertäutes<br />

Schiff an einer Insel, gegenüber einem Palast, indem die<br />

Königliche Familie zeitweise wohnte, wenn sie nicht einem<br />

der Feriendomizile einen Besuch abstatteten. Ich bekam eine<br />

Koje zugewiesen mit Bullauge und konnte über das Wasser<br />

sehend den Palast und die Nebengebäude liegend betrachten.<br />

Die Jugendherberge gibt es heute noch, ob es dasselbe Schiff<br />

ist von damals? Ich weiß es nicht. Die Jugend aus verschie-<br />

17


denen Herren Länder waren auch 1957 zu Gast auf diesem<br />

Schiff. Etwa 20 junge Leute, 17 bis 21 Jahre alt oder jung waren<br />

aus England, Spanien, Frankreich und ich aus Deutschland<br />

in Stockholm gelandet. Damals, 1957, hatten wir Jugendliche<br />

noch nicht eine gemeinsame Sprache gefunden, wie es<br />

heute normal ist, Englisch miteinander zu sprechen. Auch<br />

die geistig zerbombten Brücken mussten wieder im Kopf<br />

neu erbaut werden. Man darf nicht vergessen, die Aversionen<br />

gegen die Anderen waren gegenseitig noch lebendig,<br />

wenn auch in kleinen Dosierungen. Wir junge Menschen<br />

gaben aber nichts darum, wir wollten frei sein, unser Leben<br />

gestalten, es besser machen als die Alten, vor unserer Zeit.<br />

Aber es gab Aversionen. Ein Beispiel: So auch in Stockholm.<br />

Ich fragte einen Herrn nach einer Straße in Stockholm, er<br />

schaute mich an, fragte: Tysker? Ich bejahte, er spuckte vor<br />

mir aus, drehte sich um und ging ohne ein Wort. Oh Gott<br />

war ich berührt, ich hatte doch das schreckliche Elend des<br />

Krieges nicht verursacht, ich konnte nicht dazu, was die Nazis<br />

für Verbrechen begangen hatten, ich war sechs Jahre als<br />

der Krieg zu Ende war.<br />

Eine andere Begegnung im freien und toleranten Schweden.<br />

Man sah Auslagen in den Schaufenstern die nach den<br />

68er Jahren in Deutschland von Beate Uhse bekannt gemacht<br />

wurden. Auf der Straße küssten sich herzlich, innig und intensiv<br />

zwei Männer am helllichten Tag, ich wusste nicht,<br />

wohin ich schauen sollte. Für die Schweden kein Problem,<br />

sie gingen ohne Beachtung an den beiden Männern vorbei.<br />

Schlagfertigkeiten habe ich auch gesehen, nein, nein nicht<br />

18


gehört, gesehen. Ein Auto nahm einem anderen Auto die<br />

Vorfahrt in der Gammle Stad, es war ja noch Winter, auf den<br />

Straßen lag noch Schnee. Beide Autos hielten an, beide Männer<br />

stiegen aus ihren Fahrzeugen, der beinahe Geschädigte<br />

holte aus und gab dem beinahe Verursacher eines Schadens<br />

einen Kinnhaken, es knallte richtig! Der beinahe Geschädigte<br />

stieg in sein Auto und fuhr davon. Der den Kinnhaken erhalten<br />

hatte, schüttelte seinen Kopf, stieg ebenfalls in sein Auto<br />

und fuhr in eine andere Richtung davon. Ich höre heute noch<br />

das Knallen des Kinnhakens, wenn ich an dieses Erlebnis<br />

denke.<br />

Mein Plan war ursprünglich hier in Stockholm zu bleiben,<br />

mir eine Tätigkeit zu suchen, vielleicht zu studieren, vielleicht<br />

sesshaft hier zu werden. Ein Jahr intensive Sprachenstudien<br />

der schwedischen Sprachen sollten ja nicht umsonst<br />

sein. Aber nach diesen Eindrücken in Stockholm und nur<br />

das gesüßte Brot, es gab kein anderes Brot, nein ich musste<br />

weiterziehen. Aber es war Winter. Es war kalt, es lag überall<br />

viel Schnee. Ich kaufte mir ein Paar aus ungewaschener<br />

Schafwolle hergestellte Fäustlinge. Ich hatte erfahren, dass<br />

ungewaschene Schafwolle durch das Fett die Hände sehr gut<br />

wärmen und auch die Nässe abstößt. Ich blieb noch einige<br />

Tage in Stockholm, sprach über meine Eindrücke mit den<br />

anderen Gleichalterigen über meinen Plan weiter zu ziehen.<br />

<strong>Nach</strong> dem vierten Tag in Stockholm stand mein Entschluss<br />

fest, ich wollte weiterziehen, diesmal aber zu Fuß, der Winter<br />

war ja noch da, schnell voran zu kommen wäre nicht gut<br />

gewesen.<br />

19


Wie jeden Abend wurde viel Musik gespielt und gesungen.<br />

Zum Tagesabschluss sangen wir wie gewohnt jeder in seiner<br />

Muttersprache: Nun Brüder eine gute <strong>Nach</strong>t, der Herr im<br />

hohen Himmel wacht, in seiner Güte er uns behüte & …<br />

Am nächsten Tag fing der lange Marsch an, im <strong>Nach</strong>hinein<br />

gut, dass ich so gut trainiert war und mich sehr gut in der<br />

Natur zurecht finden konnte.<br />

Norwegen, auf der Königlichen Hauptstraße Nr.: 6 unterwegs,<br />

oberhalb der Lofoten<br />

Im Gebirge in Norwegen, im Winter zu Fuß, da muss man<br />

mit allen erdenklichen Schwierigkeiten rechnen, die man<br />

aber meistern muss. In jungen Jahren mit 18 Jahren voller<br />

Optimismus, stark, zuversichtlich, an sich selbst glaubend,<br />

ging ich jeden Tag 50 bis 60 Kilometer, d.h. min. 9 Stunden<br />

pro Tag. Es war März, langsam war der Wechsel vom Winter<br />

zum Frühjahr fällig. Die Leute waren im Straßenbau tätig,<br />

schaufelten die Straßen frei von 4 bis 6 m hohem Schnee.<br />

Klug und erfahren mit den Witterungsverhältnissen hatten<br />

sie große Fräsmaschinen, die langsam, aber stetig die weiße<br />

Pracht locker frästen und seitlich wegbliesen. Laut war es<br />

in der Wildnis, wo man sonst seinen eigenen Blutkreislauf<br />

rauschen hörte. Geistesabwesend in sich gekehrt und trotzdem<br />

wach achtete man im Unterbewusstsein auf möglich<br />

auftretende Gefahren. Es konnten Bären, Wölfe und Vielfraße<br />

erscheinen. So ging man zügigen Schrittes durch eine<br />

20


Landschaft von Schneewänden, die nur den Blick freigaben,<br />

wenn man auf den Berghöhen ankam und dann die freie<br />

Sicht wahrlich genoss. Zu den Sinneseindrücken muss ich<br />

noch einiges erzählen. Keine Abgase, keine elektrischen<br />

Leitungen oder Kabel, keine Hinweisschilder, kein Benzin-<br />

oder Dieselgestank. Es duftete frisch nach Schnee und<br />

Gestein. Die Wasserfälle entstanden durch die beginnende<br />

Schneeschmelze. Ihre Wassermassen rauschten von den<br />

Bergen im hohen Bogen über die Straße hinweg in den Fjord<br />

hinein. Strecken von 500 m, kraftvoll, geräuschvoll wurden<br />

bewältigt. Die Stadtmenschen vermissen diese Naturschauspiele<br />

nicht, wenn sie sie aber sehen, bleibt ihnen der Mund<br />

offen vor lauter Staunen und Begeisterung.<br />

Plötzlich wieder ein Stopp. Vor mir ein Ungetüm von<br />

Schneeräummaschine. Zwei Männer, die ihre Arbeit im<br />

Straßendienst verrichteten. Neben der Straße ein Holzhaus,<br />

bestimmt für die Straßenleute zum Aufenthalt während der<br />

Dienstzeit. Mal sehen!<br />

Wer bist du, wo kommst du her, wohin willst du, hast du<br />

keine Skier, du bist verrückt alleine in der Wildnis. Heute<br />

kannst du sowieso nicht mehr weiter, einen Tag noch fräsen,<br />

dann treffen wir unsere Kollegen von der anderen Seite, die<br />

uns entgegen fräsen. Du bleibst solange bei uns, kannst bei<br />

uns übernachten. Kannst schon mal ins Haus gehen und<br />

den Ofen heizen, wirst du bestimmt können, wer wie ein<br />

Verrückter im Winter in dieser Wildnis rumläuft, muss auch<br />

einen Ofen heizen können.<br />

Na, das waren aber bestimmende Laute, lange nicht<br />

23


mehr gehört, aber ein wenig hatten sie ja auch recht und<br />

sie sprachen mit ihrem Herzen, ehrlich und geradeaus, ohne<br />

Umwege. Mir blieb folglich nichts anderes zu tun, als auf<br />

die Männer zu hören, sie meinten es bestimmt gut mit mir.<br />

Hoffentlich!<br />

Verschone dein Essen, wir haben genug hier, wir teilen<br />

mit dir, es reicht für alle, aber nach dem Essen musst du<br />

uns vorspielen, hoffentlich kannst du auch singen und uns<br />

deine Lieder vortragen! Im damaligen Repertoire waren<br />

überwiegend die Lieder der Bündischen Jugend. Und die<br />

in Deutschland und im nahen Ausland gesammelte Lieder.<br />

Viele deutsche Jugendlieder, russische Kosakenlieder, Lieder<br />

aus den Skandinavischen und Baltischen Ländern. Ob<br />

die Aussprachen der Liedertexte immer korrekt und richtig<br />

waren, sei dahin gestellt.<br />

Wir aßen Pellkartoffel, Salz, Butter, Zwiebel, und Fisch<br />

geräuchert, Stockfisch, weich geklopft, als <strong>Nach</strong>tisch. Die<br />

Männer waren sehr großzügig und teilten mit mir, was sie<br />

hatten.<br />

<strong>Nach</strong> dem Spiel und Gesang, es fand sogar Anklang, musste<br />

ich von Deutschland erzählen, Fragen beantworten die<br />

die Politik, den Wiederaufbau usw. betrafen. 1957 war das<br />

Riesenelend des Krieges noch in allen Gedächtnissen und<br />

präsent. Gott sei Dank hatten die beiden Männer keinen<br />

Hass auf die Deutschen, obwohl die deutschen Soldaten<br />

während des Rückzuges den Befehl hatten, verbrannte Erde<br />

zu hinterlassen. Alle Bauten, Brücken, Unterstände wurden<br />

gesprengt, Wälder mit den Flammenwerfern verbrannt. Vie-<br />

24


le Häuser der Einheimischen angezündet. Furchtbar haben<br />

manche Soldaten gewütet, aber auch besonnene Soldaten<br />

haben beruhigend auf ihre Kameraden Einfluss genommen<br />

und viel Leid damit verhüten können.<br />

Am späten Abend, die Stimmung war bedrückend. Bei<br />

den Männern kamen die Erinnerungen wieder auf. Ich erzählte<br />

von den über 700 Flugzeugen die in einer <strong>Nach</strong>t<br />

meine Heimatstadt Wuppertal bombardierten und über<br />

4000 Menschen getötet haben, ganze Stadtviertel in Schutt<br />

und Asche legten, der Himmel vom Feuer blutrot war,<br />

dazu wurde der Wind immer stärker durch das Feuer. Bücher<br />

flogen verkohlt und verbrannt durch die Luft. Es sind<br />

schreckliche Momente die sich in die Gehirne und auch in<br />

mein Gehirn unauslöschlich eingenistet haben.<br />

Draußen, durch die Scheiben der Baracke gesehen, flackerte<br />

das Polarlicht gespenstisch in Grün- und Blautönen.<br />

Der eine Mann der immer sehr bestimmend sagte, was geschehen<br />

sollte, sprach mit leiser Stimme und sehr langsam<br />

von einem Erlebnis, das ihn sehr belastet hat. Er war 4 Jahre,<br />

er wurde von den deutschen Soldaten mit seinen Eltern aus<br />

ihrem Haus gejagt. Er lief weg, sein Vater sagte ihm noch,<br />

lauf Junge lauf, er versteckte sich in einem Gebüsch und<br />

musste mit ansehen, wie seine Eltern von einem deutschen<br />

Soldaten erschossen wurden. Dieses geschilderte Erlebnis<br />

des Jungen, jetzt erzählt mit allen traurigen zugelassenen<br />

Gemütsbewegungen –geweint wurde nicht – erschütterte<br />

unsere drei Seelen sehr stark. Hier hatten sich zufällig<br />

25


Menschen getroffen deren Eltern, Freunde, und Verwandte<br />

furchtbare Geschehnisse erdulden mussten.<br />

Mein Schlafsack gab mir etwas Geborgenheit, trotzdem<br />

kamen Gedanken und Ängste auf. Der Mann, dessen Eltern<br />

vor seinen Augen erschossen worden war, hatte er wirklich<br />

keinen Hass mehr auf alles, was Deutsch war? Stieß er mir<br />

vor Hass sein Messer ins Herz, warf mich anschließend in<br />

den Fjord, kein Hahn würde mich hier finden oder hier<br />

vermissen. Man steigert sich in negative Gefühle, möchte<br />

fortlaufen, geht aber nicht, wachbleiben, damit man sich<br />

wehren konnte …<br />

Gut gesagt, Morpheus nahm sich meiner an und lies mich<br />

tief und fest schlafen.<br />

Am Morgen weckte mich der Kaffeeduft auf. Wir aßen<br />

zusammen und genossen den neuen Tag.<br />

Vier Stunden später, nachdem wir das letzte Brot gegessen<br />

hatten, sich die Schneeräumkollege von beiden Seiten<br />

begrüßt hatten, verabschiedeten wir uns herzlich voneinander,<br />

wir wünschten uns gegenseitig, dass wir keine Kriegserfahrungen<br />

in unserem Leben noch machen müssten.<br />

Starke, seelisch gefestigte Leute, diese Männer. Hatten<br />

einem 18jährigen jungen Mann aus dem Volk, das in Norwegen<br />

solche grausamen Taten vollzogen hatten, bei sich<br />

aufgenommen, ihm zu essen und zu trinken gegeben, ihm<br />

eine Pritsche zum Schlafen hingestellt.<br />

Ich hatte sehr viel dazu gelernt, meine Überlegungen für<br />

die Zukunft nahmen Gestalt an.<br />

26


Lappland … irgendwo<br />

Kein Bezug zur Zivilisation, keine elektrische Oberleitung,<br />

kein Telefondraht, kein Ortsschild, keine Straßennamen,<br />

keine Straßenbegrenzung, nur hin und wieder Stöcke, die<br />

im Herbst an den Straßenrändern in den Boden gesteckt<br />

wurden, um den Straßenverlauf zu kennzeichnen, wenn<br />

man vor lauter Schnee keine Straße mehr sieht. Der Schnee<br />

hat jetzt gespenstisch eingeschneite Wesen geschaffen, bestimmt<br />

sind es Fichten, Birken oder Kiefern, wie Kobolde<br />

sehen sie aus. Oder noch besser, wie Gestalten aus der Phantasiewelt.<br />

Weite Ebenen, kurze Tageshelle, kein Auto, kein<br />

Flugzeug, tagelang keine Geräusche aus der Zivilisation.<br />

Wohltuend, wahrlich wohltuend. Hin und wieder Trttsiegel<br />

von Rentieren, Wölfen, Schneehasen und Co. Die Bären<br />

sind noch nicht aus dem Winterschlaf aufgewacht. Sicher,<br />

hin und wieder wachen sie auf, verlassen ihre Schlafhöhle,<br />

entleeren sich und spüren, es ist noch nicht Zeit, endgültig<br />

wach zu werden und trollen sich wieder in ihre Höhle.<br />

Gehen, gehen, gehen, man verfällt in Trance, gehen, gehen,<br />

gehen. Plötzliches Wachwerden, man spürt die Last<br />

vom getragenen Gepäck während des Gehens nicht, aber<br />

jetzt, mein Gott ist das alles schwer, weg damit, alles fallenlassen.<br />

Es kann aber auch sein, dass man geht, in Trance verfällt<br />

wie beschrieben und plötzlich ist man hellwach geworden.<br />

Was ist passiert? Ein vermaledeites Schneehuhn hat mich<br />

durch das kurz vor mir aufgeschreckte Gegacker und Ge-<br />

27


schnatter und den aufgeregten Flügelschlagen plötzlich<br />

in die Wirklichkeit zurück katapultiert. Auch im wachen<br />

Zustand sieht man die Hühner nicht. Sie lassen dich bis<br />

auf 2 m an ihren Standort heran kommen. Man sieht sie<br />

wirklich nicht, schneeweiß sind die im Winter. Sie stieben<br />

dann plötzlich mit Gezeter und Geschimpfe aus ihrer<br />

Schneemulde und flatternd auf. Die Biester haben mich oft<br />

aufgeschreckt.<br />

Es wird Abend, bzw. die Dunkelheit kommt, ist ja erst<br />

16 Uhr. Müde wird man auch beim Gehen auf den windgeräumten<br />

Straßen in Lappland. Weit und breit keine Kota<br />

kein Wanderhem, keine Hütte, die im Sommer oder schon<br />

im Frühling von den Straßenarbeitern genutzt wird.<br />

Also eine gute Schneefläche begehen, sich eine Mulde<br />

graben, wie es die Tiere auch machen, damit einen der Wind<br />

nicht stört, wenn man im Schlafsack liegt und eingewickelt<br />

im Poncho die Natur genießt. Genau so macht man es<br />

auch mit der Feuerstelle. Zuerst eine kleine Mulde, dann<br />

Birkenzweige aus den verzauberten Gestalten heraus brechen,<br />

unter dem Kochgeschirr ein kleines Feuer entzünden,<br />

mit der Kette die drei Stöcke zum Dreibein formen, Kochgeschirr<br />

einhängen und kochen. Herrlich, schwarzer Tee<br />

mit viel Zucker, dazu Speck, Zwiebel, Knäckebrot. Alles<br />

anziehen, was man mitschleppt, die <strong>Nach</strong>t wird kalt, die<br />

Sterne glitzern schon zu Millionen am Firmament. Affe und<br />

Gitarre mit in die Mulde nehmen und wohlig einschlafen.<br />

Wenn man lange solche Situationen in Deutschland geübt<br />

hat, schläft man auch in der sehr kalten Natur nicht tief und<br />

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fest, auch wenn der Tag an den Kräften gezehrt hat. Ein Ohr<br />

ist immer wach, das andere Ohr schläft, oder befindet sich<br />

nicht im Tiefschlaf.<br />

Ein Schnauben, Brummen, Schmatzen lässt mich langsam<br />

wach werden. Vorsichtig und langsam schäle ich mich aus<br />

der Vermummung, man sorgt dafür, dass man etwas sehen<br />

kann, die Schlafsackwärme bleibt, deine Muskeln müssen<br />

warm bleiben, man ist sich nicht sicher, was kommt, muss<br />

man schnell flüchten oder? In diesem Fall schaute ich in<br />

bestimmt zehn Rentiermäuler, die brummend und schnaubend<br />

sich das ansehen wollten, was da in der Schneemulde<br />

wohl liegt. Oh Gott, wenn jetzt ein Tier ausrutscht und<br />

in meine Mulde stürzt, ich bin erledigt. Meine Gitarre in<br />

dem Poncho ertastet, in die Seiten gegriffen und angeschlagen,<br />

die Viecher bekommen einen gewaltigen Schrecken,<br />

schnauben, brummen, erschrocken machen sie kehrt und<br />

stieben davon, jedes Ren in eine andere Richtung. Mein<br />

Herz hüpft, noch einmal Glück gehabt.<br />

Lappland<br />

Kein Weiterkommen. Schnee. Minus 25°C. Trockene Luft.<br />

Die Straßen sind weitgehend geräumt, vom Schnee freigefräst.<br />

Man hatte dazu von der deutschen Wehrmacht die<br />

Schneefräsen wieder repariert und dann genutzt. Wie sahen<br />

diese Ungetüme den aus? Ein kräftiger Antrieb so groß<br />

wie ein Lastkraftwagen, vorne eine rotierende Schneefräse,<br />

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estimmt 2,50 m im Durchmesser, sah aus wie ein riesiger<br />

Ventilator. Mit dieser Maschine frästen die Straßenarbeiter<br />

den Schnee auf den Straßen, über ein Auswurfrohr, das den<br />

Schnee ins Umland blies, fort.<br />

Ein Bauwagen, darin vier Kojen, ein Holztisch, eine kleine<br />

Bank, Stühle, ein Kanonenofen und eine Brennholzlade.<br />

<strong>Nach</strong> der üblichen Fragerei nach woher und wohin, Gott<br />

sei Dank reichten die Sprachkenntnisse schwedisch, norwegisch,<br />

englisch aus, um zu antworten, um die Männer<br />

zu verstehen.<br />

Mir wurde eine freundliche Mitteilung offeriert: Morgen<br />

haben wir Nationalfeiertag, du kannst nicht weitergehen<br />

der Schnee ist hoch und nicht tragfähig, außer am ganz<br />

frühen Morgen, dann ist er noch tragfähig. Die Bären sind<br />

auch aufgestanden aus ihren Höhlen und suchen jetzt Essen,<br />

besonders Fleisch, was anderes ist noch nicht da. Holz ist<br />

genug da, esse die Kartoffeln, das Brot und die Konserven,<br />

in vier Tagen sind wir wieder zurück und bringen frische<br />

Lebensmittel mit. Am fünften Tag räumen wir den Rest<br />

Schnee weg, der Berg ist dann wieder frei. Unsere Landleute<br />

können dann wieder zu ihren Sommerhäusern fahren.<br />

Der Fluss neben der Straße, ein wunderschöner reißender<br />

Gebirgsbach mit eiskaltem grün schäumendem Wasser,<br />

rauschte mit Getöse über Brocken von Felsen ins Tal hinab.<br />

Am dritten Tag hatte ich meine Wäsche gewaschen und<br />

getrocknet, gut gegessen, eine warme angenehme Behausung<br />

genossen. Das Schmelzwasser im Gebirgsbach wurde<br />

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immer mehr, das Getöse des rauschenden Wassers immer<br />

lauter und nerviger. Mal sehen, was so im Umfeld zu sehen<br />

ist.<br />

Oh Gott, Bärenspuren, große Trittsiegel im Schnee, die<br />

Krallen gut sichtbar in den Abbildungen im Schnee. Tief<br />

eingesunken ist der Meister Petz nicht im Schnee, er muss<br />

also früh am Morgen dagewesen sein. Da kam doch bei<br />

mir Panik auf. Wenn der Bär in der nächsten <strong>Nach</strong>t wiederkommt<br />

und bricht in den Bauwagen ein, oder er kommt<br />

tagsüber? Die Männer sagten ja, sie würden noch einen Tag<br />

den Schnee von der Straße fräsen, dann sei der Gebirgsweg<br />

(Straße) frei.<br />

Ich räumte auf, schrieb den Männern einen Dankes-und<br />

Abschiedsbrief, habe auch geschrieben, warum ich fluchtartig<br />

den warmen Bauwagen verlassen habe. Gesagt getan,<br />

um 10,30 Uhr schnell weg, nichts wie weg, bevor der Bär<br />

wieder kommt.<br />

Heute, heute würde ich mich anders verhalten. Der Bär<br />

hat Respekt vor uns Menschen, wenn man sich artgerecht<br />

verhält, greift der Bär uns nicht an.<br />

Fünf Stunden sind seit meiner Flucht aus dem Bauwagen<br />

vergangen, einen Bär oder eine weitere Spur habe ich nicht<br />

gesichtet.<br />

Die Straße war frei, es war wieder wie gewohnt: gehen,<br />

gehen, gehen.<br />

Schnee rechts und links, eine gut begehbare Straße, Kälte<br />

und die wohltuende Stille, eine wunderbare Stimmung,<br />

weiter über die eigene Zukunft nachzudenken, sich die<br />

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philosophischen Gedanken und Texte der alten Griechen<br />

wieder ins Gedächtnis zu rufen. Eine unglaublich aufbauende<br />

Gedankenübung.<br />

Diese Ereignisse konnte ich im Gebirge von Alta erleben.<br />

Eine wunderbare Gegend, wild, voller Leben, Stimmungen<br />

und Gefühle. Besonders der Gebirgsbach, grünes, eiskaltes,<br />

tobendes bergab fließendes Wasser, das über riesige<br />

Steinkolosse mit noch mehr Sauerstoff angereichert zu Tal<br />

tobt. Die Steine in diesem Gebirgsbach hat bestimmt ein<br />

Riese aus der nordischen Sagenwelt in das ehemals ruhige<br />

Gewässer geworfen, oder?? Urgewalt und Urkraft konnte<br />

ich erleben, zusammen mit der Honigtatze, wie die Finnen<br />

den Bär nennen. Doch weiter ging der Fußweg durch<br />

norwegisch Lappland, die Berge wurden mal höher, dann<br />

wieder flacher, dann hügelig bergisch wie in Wuppertal,<br />

die Straße führte weiter durch den Winter. Bald waren die<br />

Berge nicht mehr aktuell, die Landschaft wurde hügelig. Die<br />

Dunkelheit kam am frühen Abend, die Frage war wieder<br />

– wie jeden Tag – wo schlafe ich? In der Ferne sah ich ein<br />

Stück Dach aus dem Schnee ragen, oder war es ein Felsen?<br />

Egal, es lohnt sich auf jeden Fall, dort einmal nachzusehen,<br />

auch ein Felsen bietet Windschutz.<br />

Ja, wirklich es war eine Baracke, ein Holzhaus, tief eingeschneit<br />

bis zur Dachkante hatte sich der Schnee getürmt.<br />

Ein Fensterteil und eine halbe Türe waren schneefrei, mein<br />

Glück. Fenster ohne Schneeschutz, wie z.B. Schlagläden,<br />

die Türe abgeschlossen, ein Haustürschlüssel war nicht zu<br />

sehen, nur blanke Nägel. Durch die Fensterscheiben waren<br />

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